Laufen von Isabel Bogdan

Laufen von Isabel Bogdan

Bist du jemals durch ein Buch gerannt oder beim Lesen auf dem Sofa außer Puste geraten? Bei „Laufen“, dem neuen Roman von Isabel Bogdan ist mir genau das passiert. Das Buch begleitet die Gedanken einer Frau, während sie ihre Runden läuft, „weil er weg ist“.

Ich kann nicht mehr weiter laufen

Endlos reihen sich die Gedanken dieser Frau, ihren Namen erfährt man nicht, beim Laufen aneinander. Zusammenhanglos fügen sie sich zu ellenlangen Sätze zusammen, oftmals über mehr als eine Buchseite. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, doch es hat den Effekt, dass ich mich sofort im Gedankenstrudel der Frau befinde und atemlos durch den Text hetze. Gefühlsmäßig renne ich mit ihr durch den Park.

Sie läuft ihrem Verlust davon, weil sie von ihrem langjährigen Lebenspartner verlassen wurde, denke ich zunächst. Im nächsten Kapitel wird mir klar, der Tod hat die Beiden getrennt. Nach dem ersten Jahr der Trauer, in dem sie „alles zum ersten Mal ohne ihn gemacht hat“, beginnt sie ihren Lauf in ihr anderes neues Leben.

„Laufen ist super, so schön stumpf, man muss gar nicht denken, …, ich laufe mir die Grübelei weg, …, kann an gar nichts anderes denken als an meinen Körper, … , alles tut weh, … , ich kann den Kopf trotzdem nicht ausschalten“. Und sie läuft weiter, auch wenn sie nicht mehr kann, „weil sie will, dass er aus ihrem Kopf weggeht, aus ihrem Herzen oder doch nicht“. Sie muss das Tempo drosseln, Luft holen und doppelt so viele Schritte ausatmen wie ein, also

ein ein aus aus aus aus.

Mir geht ebenfalls die Puste aus, ich kann nicht mehr, es ist schon spät in der Nacht, ich sollte aufhören mit Lesen, doch es geht nicht, Zeile um Zeile, Seite um Seite folge ich den Gedankensprüngen dieser Frau, es ist schon weit nach Mitternacht, nur noch ein Kapitel, dann . . .

Ein ein aus aus aus aus.

„Immer weiter atmen“, sagt Rike

Sie ist die beste Freundin dieser Frau über 40, macht alles richtig, gibt keine Ratschläge, verschont sie mit wohlfeilen Sprüchen oder mit Textbausteinen wie „das Leben geht immer weiter“.

„Nur mein Leben wurde durch den Tod auf den Kopf gestellt, das der Anderen ist gleich geblieben“, stellt sie fest und weiter, dass es bereits vorher Verluste gab: Beziehungsgespräche, in denen er nie etwas gesagt hat, fehlende Nähe, weil er sie nicht mehr anfasste oder den verlorenen Kinderwunsch.

„Verwitwet und verloren, … , schließlich waren wir nicht verheiratet, … , deswegen haben deine Eltern alles selbst bestimmt, die Beerdigung, …, haben mir alles weggenommen, und ich kann jetzt nicht verwitwet ankreuzen, obwohl ich das bin“.

„Den eigenen Tod, den stirbt man nur,
doch mit dem Tod des Anderen muss man leben“
(Mascha Koléko)

In ihren Schmerz und der Frage nach dem Warum mischen sich Wut, Ärger und Schuldgefühle. Warum hat sie nicht gemerkt, dass er wieder tief in der Depression steckte. Was hat sie falsch gemacht und wo versagt? Hätte sie seinen Tod verhindern können?

Alleinsein und Sehnsüchte

Immer wieder beschreibt die Autorin die Einsamkeit, in die ein trauernder Mensch versinkt, ständig blitzt das Alleinsein in den Gedanken der Frau auf, setzt ihr zu, macht ihr zu schaffen. Da ist diese entsetzliche Lücke, wo Nichts ist, „wo etwas sein sollte, wo etwas hingehört“. Im weiteren Lauf gesteht sie sich ein, dass  endlich wieder ein Mann neben ihr liegen soll, sie anfasst und berührt.

Sie zieht um in eine andere Wohnung: „Wo mich nichts an dich erinnert, außer dass mich sowieso alles an dich erinnert“. Sie kauft sich ein neues Bett und ein rotes Kleid, mit dem sie ausgehen will, tanzen und Leute kennenlernen.

Ihr Lauf wird langsamer, der Atem ruhiger, die Sätze kürzer. Sie bekommt wieder Luft.

Ein-at-men aus-at-men aus-at-men.

Jetzt finde ich als Leserin Zeit und Raum, mich auch an meinen eigenen Verlust zu erinnern, finde die Parallelen zwischen den Gedanken dieser Frau und meinen eigenen, als ich damals den Weg durch die Trauer zurück in mein „normales“ Leben ging.

Wie soll es weitergehen?

„ …, nicht mehr im Kreis, nicht mehr im Konjunktiv, nicht mehr in der Vergangenheit, … , wie wohl, vorwärts, … , deswegen renne ich“. Sie beendet Gewohnheiten und widersetzt sich den Erwartungshaltungen ihres Umfeldes, „auf den Friedhof gehe ich auch nicht mehr. Wenn ich bei dir sein will, gehe ich zum Gingko an der Alster“.

Sie überwindet schließlich mit Hilfe einer Therapeutin ihre Schuldgefühle, findet Kraft zum Loslassen und die nötige Energie, um Zukunftspläne in die Tat umzusetzen. Und sie beschließt, den Friesennerz, der sie  einengt, ihr die Luft und die Sicht auf die Außenwelt nimmt, abzulegen.

„Einatmen. Zwei Jahre nächste Woche. Ausatmen. Er wird immer bei mir sein“.

Laufen – ein Roman über die Trauer und deren Überwindung

Isabel Bogdan beschreibt mit viel Einfühlungsvermögen und Humor die verschiedenen Phasen der Trauer, in denen ihre Protagonistin gefangen ist, und wie das Laufen dieser Frau hilft, über den Tod ihres Lebenspartners hinweg zu kommen. In langen, teilweise zusammenhanglosen Gedankengängen analysiert sie ihre Beziehung zu ihm, lässt gemeinsame Erlebnisse aber auch die Konflikte an sich vorbeiziehen. Sie fragt nach dem Warum, setzt sich mit ihrer Wut, Verzweiflung und Schuld auseinander, schaut auf familiäre, freundschaftliche und kollegiale Verflechtungen. Sie stellt ihr bisheriges Leben auf den Prüfstand und findet am Ende dieses zweiten Trauerjahres fast ihr inneres Gleichgewicht wieder.

Warum hat mich dieses Buch gefunden?

Weil ich gerade von einer langen Pilgerwanderung durch Frankreich zurückkam. Beim Schnupperrundgang in meiner Buchhandlung zog mich der Titel „Laufen“ natürlich magisch an.

Weil das Cover passend zum Thema und gut gelungen ist. Die geraden, ins Unendliche verlaufenden Linien symbolisierten für mich die immer neue Anfänge auf dem Lebensweg, der nie gerade, sondern meistens  auf Umwegen oder eben im Zickzack verläuft. Und dann ist „Zack“ mein Lieblingswort, vielleicht auch ein Grund.

Weil mir durch den Klappentext erneut bewusst wurde, dass niemand seinen Verlusten, Verletzungen und Erinnerungen weglaufen kann. Sie sind da, kommen in Abständen unerwartet zum Vorschein und wollen jedes Mal erneut bewältigt werden.

Fazit

„Laufen“ ist ein großartiger Roman. Er hat mich tief berührt und mir stellte sich während des Lesens ständig die Frage: „Schrieb ihn Isabel Bogdan aufgrund eigener Erfahrungen?“

5 Sterne, äußerst empfehlenswert.

Lass uns zusammen Leben – Lieben – Lachen
Bücher lesen und bunte Sachen machen

Deine Elvira

Laufen, Roman von Isabel Bogdan, 20,00 €
erschienen bei Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05349-4

Laufen von Isabel Bogdan
Laufen, der neue Roman von Isabel Bogdan

3 Kommentare, sei der nächste!

  1. Liebe Elvira,
    vielen Dank für diese wundervolle Leseempfehlung! Auch wenn ich nicht verwitwet, sondern geschieden bin, konnte ich mich in Vielem wiedererkennen. Ich habe das Buch auch mit in meine ‚Fachbibliothek‘ zum Thema Tod und Trauer, das ich in der Erzieherinnenausbildung unterrichte aufgenommen und bin dort auf erste Rückmeldungen gespannt.
    Herzlichst Barbara

    1. Ach, liebe Barbara, es ist schon spannend, dass auch Du Dich in Vielem wiedererkannt hast. Ich denke, es sind immer die gleichen Fragen, die auftauchen, wenn uns ein Mensch „verlässt“. Die Herausforderung besteht darin, Antworten zu finden, um irgendwann auf seinem persönlichen Lebensweg weitergehen zu können.

      Liebe Grüße
      Elvira

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert