Atemübungen

Im Hauruck-Verfahren zu mehr Gelassenheit

In den letzten Tagen kam sehr oft das Wort Gelassenheit an mir vorbeispaziert. Wo kommt das denn auf einmal her und was will es mir sagen? Soll ich jetzt ein Musterbeispiel an Gelassenheit werden und wenn ja, wie stelle ich das an?

Zwischen der Gelassenheit und mir liegen Welten

Ich möchte ja gerne, doch es gelingt mir selten. Gelassenheit bewahren in stressigen oder aufgeregten Situationen, wenn etwas gar nicht gelingen will, Mitmenschen nerven oder unerledigte Aufgaben drängen, finde ich äußerst schwierig. Zugegeben, seit ich älter bin, werfen mich Dinge nicht mehr so aus der Bahn, weil mir meine Erfahrungswerte sagen: „Dafür lohnt es sich nicht aufzuregen, das wird sich schon von selbst richten.“ Aber mich als gelassenen Menschen zu bezeichnen, wäre ziemlich vermessen.

Bisher fühle ich mich als Mittelgelassenheitsperson: Meine Kinder haben mir durch jahrelange Übung beigebracht, nicht sofort aufzubrausen, wenn mir was nicht passt. Ich habe zwar gelernt, die ein oder andere spontane Erwiderung runterzuschlucken, kann mich aber immer noch tierisch über Nichtigkeiten aufregen und explodiere vor Zorn über die Ungerechtigkeit der Welt, speziell gegen Kinder. Meine Güte – wie ungelassen. Das ist ja peinlich. Es wird höchste Zeit einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation zu belegen.

Das ist ja wohl zum an die Decke gehen

Wie soll man denn gelassen bleiben, wenn

  • man verschlafen hat und dann noch der Kaffee alle ist
  • das Honigbrot runterfällt und natürlich mit der klebrigen Seite auf den Boden klatscht
  • dem Nachbarn meine bunte Löwenzahnwiese stört und die Frösche im Teich zu laut quaken
  • der Kunde tausend Paar Schuhe probiert, sich dann nicht entscheiden kann und geht
  • zerknüllte Socken im Bad herumliegen
  • die Kinder morgens alle Zeit der Welt haben und der Schulbus selten wartet
    (blöd, dass der Schulanfang nie mit der inneren Uhr meiner Kinder übereinstimmte)
  • es Streit mit dem Partner/Chef oder sonst wem gibt
  • die Aussage eines Mitmenschen Lichtjahre von meiner eigenen Ansicht entfernt liegt
  • man knapp an seinem gesteckten Ziel vorbeirauscht
  • der Computer wieder spinnt
  • sich irgendwelche Menschen neue Gesetze ausdenken, weil sie glauben, mir ist langweilig
  • Dinge nicht an ihrem Platz liegen und das Suchen beginnt
  • ich wieder einmal die Rote-Ampel-Phase erwischt hat
  • und noch hunderte anderer Gründe gibt, von denen man bisher gar nichts weiß

Und für Gelassenheit spricht sicher auch nicht, wenn ich traurig und verzweifelt bin, Ängste an mir nagen und Sorgen mich nicht schlafen lassen. Scheinbar ist Gelassenheit etwas Unerreichbares, unmöglich zu bewerkstelligen für einen „normalen“ Menschen.

Ist Gelassenheit überhaupt erstrebenswert?

Sind gelassene Menschen langweilig, träge im Denken, abgestumpft? Haben sie ihre Neugier auf das Leben, ihre Lebendigkeit, das Miteinander auf dem Altar der Gelassenheit geopfert. Sind sie ständig frei von Zweifeln, Ängsten und Sorgen oder haben sie diese nur tief in sich versteckt? Ärgern sie sich über nichts und niemanden mehr? Gerade stelle ich mir Gelassenheit als farblos und durchscheinend vor. Sehen so die Menschen aus, die absolut gelassen sind? Keine Höhen, keine Tiefen, kein Berg, kein Tal, alles gleichförmig, eben, platt. Dann möchte ich lieber nach Rumpelstilzchens Art leben.

Das Geheimnis der Gelassenheit

Einige scheinen ihn gefunden zu haben, den Stein der Weisen, den gangbaren Weg, der zu einem in sich ruhenden Menschen führt: Er heißt Lassen.

Sie lassen Sachen los, die sie beschweren. Sie lassen weg, was zuviel ist. Sie verlassen Situationen, die belastend sind. Sie lassen Ereignisse laufen ohne gleich eingreifen. Sie entlassen trübe Gedanken, Unsicherheiten oder Zweifel. Sie lassen Ziele frei, die sie als nicht mehr erstrebenswert definieren oder weil sie nicht zu ihnen gehören. Sie unterlassen Vergleiche mit anderen. Sie wissen, wann was zu tun oder zu lassen ist.

Gelassene Menschen kennen ihre Stärken und Schwächen genau. Sie besitzen den Mut, Entscheidungen zu treffen, kleben nicht an Gewohntem und respektieren durchaus auch Grenzen. Sie zeichnen sich durch Geduld und Warten können aus, weil sich das Meiste wie durch ein Wunder von ganz allein regelt oder zur richtigen Zeit auf sie zu kommt. Sie erlauben sich, so zu sein wie sie sind und gestehen das auch ihren Mitmenschen zu. Kurz: Gelassene Menschen vertrauen ihren Fähigkeiten und sind im Reinen mit sich selbst.

Sehr gut auf den Punkt bringt es das sogenannte Gelassenheitsgebet, welches vermutlich Reinhold Niebuhr vor oder während des zweiten Weltkriegs verfasst hat, und das jahrelang auf eine Tafel geprägt hier im Haus hing: (Wo ist sie eigentlich hingekommen?)

Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Ist Gelassenheit erlernbar?

Selbstverständlich gibt es dafür „Rezepte“. Die Zutaten sind: im Hier und Jetzt leben, Probleme hinterfragen, Emotionen in den Griff bekommen, das Selbstbewusstsein stärken und noch eine Prise hiervon und davon. Alles sorgfältig verrühren. Klappt nicht gleich beim ersten Mal, doch fleißiges Üben macht den Meister.

Puh, ganz schön aufwendig, ein gelassener Mensch zu werden. Wenn sich das anstrengend und langwierig anhört, dann versuch doch mal mein an 3 Kindern erprobtes

Hauruck-Verfahren

Bevor du losschreist – gaaaanz tief einatmen.
Das machst du automatisch, weil du ja gerade die Stimme erheben willst. Und dann, wichtig, nicht vergessen: laaangsam ausatmen. Ist die Luft erst einmal raus, kann das Gehirn statt der Emotionen wieder den Dienst übernehmen.

Bevor du vor Wut die Wand hochgehst und dich zu Äußerungen oder Handlungen hinreißen lässt, die du bereust – die Situation verlassen.
Geh raus aus dem Raum, in ein anderes Zimmer oder noch besser, lauf eine Runde um das Haus oder den Block. Manchmal genügt auch nur ein kurzer Blick aus dem Fenster, auf einen anderen Menschen oder einen Gegenstand. Zähle dabei innerlich oder sogar laut 21 – 22 – 23 und weiter, je nachdem wie hoch dein Stresspegel ist (ich habe mehrfach bis 40 gezählt als die Kinder im Pubsalter waren). Wichtig: Das tiefe Atmen nicht vergessen. Jetzt sollte der Abstand groß genug sein, um eine aus dem Ruder gelaufene Diskussion stromlinienförmig fortzuführen.

Wenn dich die Äußerungen eines Mitmenschen in einer Runde nerven und du spürst wie die Aggression in dir hochkriecht – überhören, abschalten, an was sehr Schönes denken. Das meine ich ganz ernst. Ich muss mir nicht mehr alles anhören, sondern darf auswählen für was ich meine Ohren öffne.

Bei einer Diskussion oder Meinungsverschiedenheit, bevor es zur Eskalation kommt – Schweigen, gepaart mit dem Hinweis, dass man jetzt nicht weiter darüber reden will, weil man z.B. mehr Informationen benötigt, bis wir uns beruhigt oder genügend Abstand gewonnen haben.

Abwarten und . . . älter werden.

Meine Gießkannen-Methode für mehr Gelassenheit

Wenn du vorhast, gelassener durch dein Leben zu spazieren, ist es besser, vorbeugende Maßnahmen zu treffen so lange noch die Sonne scheint. Wenn Regen das Fass erst einmal zum überlaufen gebracht hat, ist es zu spät. Zwischendurch Wasser in Gießkannen umzufüllen, ist die bessere Lösung. Die sind bunt und jede hat einen besonderen Namen:

  • Nein sagen – damit sich Dinge oder Umstände nicht anhäufen und dir die Ruhe rauben
  • Sport treiben – sich auspowern, nur für dich selbst und hinterher das wohlige Gefühl spüren, welches sich in dir ausbreitet.
  • in den Wald gehen – meine bevorzugte Methode zum Erreichen tiefer Gelassenheit. Natur wirkt immer.
  • Ordnung halten – es ist einfach schön, wenn alles seinen Platz hat und sofort gefunden wird. Es heißt zwar, nur das Genie beherrscht das Chaos, doch das betrifft nur sehr sehr wenige Menschen.
  • Lachen – mit einem freundlichen Lachen kannst du jeder Person, jeder Äußerung den Wind aus den Segeln nehmen. Dir selbst bescherst du damit Glückshormone ohne Ende.
  • Atemübungen to go – wenn du mit dem Auto unterwegs bist und dich die „rote Phase“ erwischt, heiß es: einatmen, Atem anhalten und ausatmen . . . bis es wieder grün wird. Erfrischt und macht munter. An der nächsten Ampel wiederholen – macht noch munterer.
  • Dankbarkeit – Mein Wundermittel, welches die Gelassenheit üppig wachsen lässt und obendrein glücklich macht. Als Erstes bedanke ich mich morgens für alles Gute und Wunderbare, das der Tag mir schenken wird.

Das sind meine Rezepte, die mir geholfen haben, nach und nach doch noch einen gewissen Level an Gelassenheit zu erringen. Verrate mir doch im Kommentar, ob du noch andere Methoden hast. Ich bin gespannt auf deine geheimen Zutaten.

Lasst uns zusammen Leben – Lieben – Lachen
und bunte Sachen machen

Deine Elvira

7 Kommentare, sei der nächste!

  1. Liebe Elvira, Gelassenheit und loslassen hängen sehr nah beieinander. Mal spannt sich mein persönliches Seil, mal pendelt es locker umher. Ich übe, übe, übe… mal mit gutem Erfolg, mal weniger. Dein Gießkannenprinzip gefällt mir! Ich wandele weiter 😉
    Herzliche Grüße
    Geertje

    1. Liebe Geertje,
      dann wünsche ich dir gutes Wandeln. Das Gute daran ist, dass wir dabei lernen und uns weiterentwickeln.

      Mit gerade gelassenen Grüßen
      Elvira

  2. Hallo Elvira,
    ein gutes Thema – „Gelassenheit“. Es gibt ein schönes Buch darüber, welches bei mir liegt. Ich habe es noch nicht vollständig gelesen. Es beleuchtet das Thema auch historisch. Allein, an den Titel des Buches zu denken, hilft mir manchmal, mich abzukühlen. Ansonsten gucken ich aus dem Fenster. Oder was fast immer hilft ist, ein eTasse Kaffee zu machen. Der Geruch von Kaffee gemahlen oder aufgebrüht – macht mich auch sehr gelassen.
    Das Buch (möglicherweise nur im Antiquariat)
    Voigt, Dieter und Meck, Sabine: Gelassenheit – Geschichte und Bedeutung. Darmstadt 2005.
    Liebe Grüße
    Karla

    1. Danke, liebe Karla für deine Tipps. Deine Buchempfehlung hört sich interessant an, dann werde ich mal schauen, ob es irgendwo zu bekommen ist.

      Immer auf der Suche nach mehr Gelassenheit
      grüßt dich ganz herzlich
      Elvira

  3. Liebe Elvira,

    dein Artikel passt ja sehr gut zu meinem Thema „Glücklich sein“.
    Ich habe mir die Gelassenheit auch antrainiert. Und ich kann dir sagen, Nein gelassene Menschen haben auch Ängste, Zweifel und ärgern sich. Schließlich ist man, zum Glück, nicht perfekt. Wenn ich mich ärgere, zum Beispiel beim Autofahren, dann dauert das nur solange die Situation besteht. Ich habe nämlich beschlossen, dass niemand anderes ausser ich die Macht über meine Laune hat. Gelingt auch nicht immer aber immer besser.
    Liebe Grüße
    GlücksWomen
    Heike Burde

  4. Liebe Elvira,
    ei sehr interessanter Beitrag, den man auch mehrmals lesen kann . Auch wenn ich alles unterstreiche – ich bin halt nur ein Mensch , dem Gelassenheit hin und wieder auch mal gelingt.
    Einen schönen Feiertag – in aller Gelassenheit
    Christian

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