Nach 10 Tagen in der Wüste von Marokko beherrscht Wassersparen mein Denken und Handeln. Bereits bei der Fahrt durch Zagora kam mir der riesige Springbrunnen völlig fehl am Platz vor, da es im ganzen Land an Wasser mangelt. Nun sitze ich im Hamam, dem Badehaus, und es wird eimerweise heißes Wasser über meinen Kopf geschüttet. Zwischen Jauchzen und Freuen über diese Wohltat mischen sich Gewissensbisse. Für die Menschen und Tiere in der Wüste ist fehlendes Wasser lebensbedrohend, während ich gerade die Verschwendung dieses kostbaren Guts mit allen Sinnen genieße.
Die Wüste Marokkos – Bilder, die die Seele streicheln
Abends wälze ich mich im Bett herum, kann nicht einschlafen, fühle mich eingesperrt. Ich reiße alle Fenster sperrangelweit auf, um Luft zu bekommen. Schließlich schaue ich mir meine Wüstenbilder an und tauche noch einmal ganz tief ein in diese besondere Atmosphäre: der Sand streichelt meine Haut, der Wind raunt mir sein Lied zu, die Sonne wärmt mein Herz, die Stille schenkt Ruhe und Gelassenheit. Danke, liebe Maya für diese Überschrift.
Morgenstund hat Gold im Mund – oder doch nicht?
Endlich schlafe ich ein, doch nach kurzer Zeit weckt mich das „Morgengrauen“. Es beginnt mit dem Muezzin, der um 4.30 Uhr die Gläubigen in der Morgendämmerung zum Gebet ruft. Ich höre ihm zu, seinem lauten melodiösem Singsang und schlafe wieder ein, besser döse im Halbschlaf vor mich hin.
„Aufwachen“, krähen die Hähne, gefolgt vom lauten Schreien der Esel. Das wollen die Hunde nicht auf sich sitzen lassen und stimmen mit ausdauerndem Gebell in diese Morgenmusik ein. Es erinnert mich an die Bremer Stadtmusikanten, die dadurch sogar Räuber verjagt haben. Die Katzen verhalten sich leise, doch ich bin sicher, dass sie da sind und Bösewichte mit ihren Krallen in die Flucht schlagen. Der tierische Lärm verebbt und ich kuschele mich in die Bettdecke. Mmmh, schlafen.
Denkste. Nun setzen die Muezzin aus den entfernteren Moscheen den Reigen fort. Von weit her tönt ihr Ruf herüber, verweht, wird aufgenommen vom Nächsten und landet letztendlich wieder beim Muezzin vor Ort, der zum nächsten Gebet ruft. Inzwischen ist es 5.30 Uhr. Jetzt kann ich endlich friedlich weiterschlafen.
Dachte ich. Falsch gedacht. Draußen im Flur wird es geschäftig. Eimer scheppern leise, es wird gewischt, damit alles sauber und frisch ist bis der Gast aufsteht. Also Schluss mit Schlaf, der wird sowieso völlig überbewertet. Die Sonne geht auf, raus aus dem Bett.
Tränen am Rand der Wüste von Marokko
Nach meinen morgendlichen Qui gong gehe ich in den Garten. Noch immer kann ich die bunte Fülle nicht begreifen, kann die Zeit in der Wüste, beschränkt auf das Notwendigste, zurückgeworfen auf mich, nicht so einfach loslassen und abstreifen. Mit geschlossenen Augen lausche ich dem Plätschern des kleinen Springbrunnens. Meine Gefühle fahren Achterbahn, Tränen suchen sich ihre Bahn auf meinen Wangen, tropfen in den Staub.
Yussuf, der stets aufmerksame Geist des Hotels entdeckt mich in meiner Ecke und durchbricht meine Melancholie. Er serviert wundervoll nach Minze duftenden Tee und bittet zum Frühstück. Am blumengeschmückten Tisch erwarten uns Kaffee, gewürzt mit Kardamom, Fladen, Hefeplinsen, Marmeladen, Honig und saftig süße Orangen. Vorsicht, das hat Suchtpotential: Hefeplinsen (b’rier) mit Orangenscheiben belegt, bestreut mit Zimt und zum Schluss Honig darüber geträufelt. Diese süße Versuchung vertreibt endgültig alle Wehmut.
Auf dem Dorfmarkt wimmelt es vor Leben
Raus aus der Stille des Gästehauses und hinein ins laute Leben. Es ist Markttag im Nachbardorf. Hier wimmelt es nur so von Menschen, Fahrzeugen und Eselskarren, für die es sogar einen eigenen Parkplatz gibt.
Besonders sehenswert ist die Ecke der Handwerker. Unfassbar mit welchem Geschick die Kesselflicker zerdepperten Schüsseln und Töpfen neues Leben einhauchen. Überwältigend, mit welcher Kreativität alte Sachen einer neuen Funktion zugeführt werden. Ausrangierte Autoreifen werden mit einem Gummiboden und zwei Henkeln versehen und dienen als Korb oder Transportbehälter. Bereits bei den Nomaden habe ich festgestellt, dass jedes Teil, welches sie verwenden mindestens eine Doppelfunktion haben muss sonst taugt es nichts.
Wir schauen den Händlern bei der Arbeit zu, schnuppern die unbekannten Düfte von Gewürzen, probieren von den frisch geernteten Datteln und können den aufdringlich unaufdringlichen Angeboten der Händler nicht widerstehen. So erstehe ich ein riesiges Stück Stoff, welches mir ein Verkäufer mit einem strahlenden Lächeln und einem Augenzwinkern vor die Nase hält. Was ich damit machen will? Keine Ahnung. Vielleicht als Tischdecke benutzen oder Vorhang oder . . .? Ach, ist doch egal.
Sonja, die diese und andere Wüstenreisen organisiert, kauft Nüsse, Tee, Kekse und große Zuckerhüte als Geschenk für ihre Patenfamilie. Letztere gelten als Glücksbringer und werden wie ein Schatz aufbewahrt. Und Maya ersteht allerlei Leckereien, die wir im Gästehaus sofort aufessen werden.
Kann ein Auto ein Kunstwerk sein?
Am nächsten Tag streifen wir durch das Dorf und die Oase. Später inspizieren wir Abdellahs Auto, ein faszinierendes rostiges Etwas, angesiedelt zwischen Kunstwerk und Schrottplatz, welches gleichzeitig als Fortbewegungsmittel und Büroraum dient. Mein Sichtweise: „Es fällt bald auseinander. Es dauert sicher nur noch kurze Zeit, dann ist der Boden durchgerostet und er muss selbst mitlaufen.“ Dagegen Abdellahs Sichtweise: „Ein wunderbares Auto, läuft bestimmt noch viele Jahre und kann noch zig-Mal repariert werden.“ Nomaden gebrauchen ihre Sachen und Gegenstände so lange, bis nichts aber auch wirklich gar nichts mehr daran zu flicken oder zu reparieren geht. Alles andere wäre Verschwendung. Sie horten keine Dinge nur um sie zu besitzen, sondern haben nur, was sie wirklich unbedingt zum Leben benötigen. Sie sind Meister des Minimalismus. Ihr ganzer Hausstand passt auf einen Kamelrücken.
Mit Abdellah unterwegs
Wir steigen nun vorsichtig in dieses betagte Teil und begleiten Abdellah. Es geht nach Mellal. Dort wohnen Frauen, die mit ihren Kindern und Familien aus der Wüste heraus und sesshaft werden wollen. Versiegende Brunnen und sich verändernde Strukturen im Nomadenleben zwingen sie dazu. Gleichzeitig ermöglichen sie ihren Kindern den Schulbesuch. Später besuchen wir die Frauenkooperative in der Kasbah. Sie stellen Webteppiche her und verkaufen diese ebenso wie die von Nomadenfrauen gelieferten bestickten Schals, Näharbeiten oder Perlenschmuck.
Ein Preis für sozialverantwortlichen Tourismus
Abdullah Naji, unser Gastgeber im Gästehaus „Le Sauvage Noble“ ist Dreh- und Angelpunkt der ganzen Aktivitäten hier vor Ort. Seine Reiseorganisation Renard Bleu Touareg wurde 2003 mit dem Preis für sozialverantwortlichen Tourismus ausgezeichnet. Zusammen mit dem in Deutschland ansässigen Verein Azalay e.V. sorgt er dafür, dass die Nomaden in dieser Gegend bleiben können, wenn ihnen willkürlich gezogene Grenzen und die Wüste ihre Lebensbedingungen entziehen und sie in ihrer Existenz bedroht sind. Es werden Projekte angeschoben und vorfinanziert wie eben das Dorf Mellah, Frauen-Kooperativen, Schulbau, eine Medizinkarawane und die Erhaltung von Brunnen.
Abdellah koordiniert das Ganze. Er ist Hotelmanager, Arbeitgeber, Wohnungsbesorger, Betreuer von Familien-Patenschaften und Kooperativen, Einkäufer, Ansprechpartner und diplomatischer Teetrinker, wenn in stundenlangen Gesprächen Probleme geklärt und Lösungen gesucht werden müssen. Ein Multitalent in drei Sprachen: Nomad, Arabisch, Französisch (und ein wenig Deutsch)
Legendäre Gastfreundschaft
Ich gehe noch einmal voller Bewunderung durch dieses traumhaft schöne Gästehaus, diesem Märchen aus 1001 Nacht am Rande der Wüste und genieße die Gastfreundschaft und Fürsorge der Menschen, die Paula Wolfertz so treffend beschreibt:
„Die arabische Gastfreundschaft ist legendär: beschämende Großzügigkeit, vollkommene Zufriedenstellung, Überfluss um seiner selbst willen ist Ehrensache für den Gastgeber.“
Ich verweile noch ein wenig auf einer Bank im Garten bevor es Abendessen gibt und sofort eilt Yussuf herbei und bietet Kaffee, Tee und Gebäck an.
Lernen wir daraus.
Lass uns zusammen LEBEN – LIEBEN – LACHEN
und lauter bunte Sachen machen
Deine Elvira
Du hast die ersten beiden Teile dieser Reise verpasst. Hier kannst du sie nachlesen.
Liebe Elvira,
vielen Dank für den wunderschönen Bericht.
Ich war zweimal mit Mina in der Wüste. Mit jeder Deiner Zeilen konnte ich die Weite, den Sand, den Wind, das Licht und vor allem den Zauber und das Glück wieder fühlen.
Die Wüstenzeiten haben mich reich beschenkt und wirken noch immer nach.
Schön dass Du Dich auch hast berühren lassen und dass Du hier etwas davon teilst.
Alles Gute für Dich.
Barbara (noch eine)
oder Fatima
Wundervoll, dass auch bei dir der Zauber immer noch wirkt. Mir geht es ebenso. Erst gestern habe ich einem Bekannten davon erzählt, dass in der Wüste die Sterne heller strahlen als irgendwo anders.
Ich umarme dich
M’barka
Liebe Elvira,
wir haben beim 1. Bloggertreffen 50+ zusammen gesessen. Schön dich auch live kennen zu lernen.
Marokko fand ich auch besonders reizvoll. Diese Farben, das Gelb der Wüste, die rote Erde und dann wieder die leuchten grünen Oasen als Farbtupfer mitten drin. Im Urlaub schaffe ich es auch als Nachteule früh aufzustehen. Der Morgen hat eine ganz besondere Atmosphäre, wenn der Muezzin ruft und der erste Hahn kräht.
Du hast diese Atmosphäre in deinem Bericht ganz wunderbar für uns eingefangen.
Liebe Grüße
Renate
Das freut mich, dass mir das gelungen ist. Schön, dass wir uns kennengelernt haben.
Ganz liebe Grüße
Elvira
Liebe Elvira,
Ich liebe deine Reiseberichte! Es ist für mich wunderbar, mit welch offenen Augen und noch weiter geöffnetem Herzen du durch fremde Länder ziehst und in welch einfühlsame Worte du deine Erlebnisse anschließend kleidest. So kann sogar ich Stubenhockerin ein faszinierendes Marokko erleben. 🙂
Danke und liebe Grüße
Barbara
Eine schöne Beschreibung und weist Du, was mir hin und wieder an Deinen Berichten gefällt ?: das Du nicht nur konsumierst, sondern daß Du Dir auch tiefgreifende Gedanken über die Dinge machst.
Viele Dinge, die wir genießen dürfen haben oft einen Hintergrund , der weniger zum freuen ist.
Daran zu denken, macht manches Erlebnis erst zu einem Erlebnis!
So auch Ostern!
Liebe Grüße
Liebe Elvira,
herzlichen Dank für diesen Artikel und die tolle Beschreibung des Lebens in den orientalischen Ländern. Genau so habe ich das auch schon sehr oft erlebt. Ich habe mich sofort wie im Urlaub gefühlt….
Ja, die Wüste verändert wirklich die Sichtweise auf ALLES und ich bin absoluter Sahara-Fan.
Herzliche Grüße
Barbara
Hallo Barbara,
ein Stück Wüste habe ich in meinen Gedanken nach Hause genommen und sie taucht, wie jetzt zu Ostern immer wieder bei mir auf. Interessant, dass du genauso fühlst und die Veränderung wahrnimmst.
Wie schön, dass dir der Artikel gefällt und ein wenig Urlaubsstimmung aufkam.
Ganz liebe Grüße und fröhliche Ostern
Elvira