Umrahmt vom großen Kanal, durchzogen von Wasserstraßen, so liegt sie da, die Großartige, die Prächtige, die Königin der mittelalterlichen Städte: Brügge.
Einst war sie die wohlhabendste Stadt Nordeuropas, Mitglied der Hanse und Residenz von Herzögen. Durch ihre Lage am Meer betrieben Kaufleute von hier aus Handel mit der ganzen Welt und verhalfen Brügge zu immensen Reichtum. Mit dem Versanden der Meeresbucht sank ihr Stern. Verarmt legte sich die Schöne zur Ruhe und entging so städtebaulicher Verschandelung. 1907 wurde sie durch den Anschluss an den Seehafen Zeebrügge aus dem Schlaf erweckt und 2000 als Unesco-Weltkulturerbe gekürt. Heute präsentiert sie sich in ihrer ganzen Pracht den Touristen. Und sie kommen in Scharen, um Brügge zu bestaunen.
Beschauliches Hanseviertel
Von all dem wissen Thomas und ich noch nichts, als wir in unser sehr ruhig gelegenes Hotel in der Baliestraat einziehen. Fern von jedem Autolärm und Touristenrummel werfen wir einen Blick in die Sint-Gilliskerk, durchwandern die reizvollen ruhigen Gassen, schlendern am Kanal entlang und landen schließlich am idyllischen Jan van Eyckplein mitten im ehemaligen Hanseviertel.
Die halbe Welt versammelt sich in Brügge
Bald tauchen die ersten prunkvoll verzierten Gebäude auf: die Genueser Loge, das Haus „Ter Beurze“, das Stadttheater und gleich daneben das „Pommes frites – Museum“. Entfernt sehen wir den Belfried, einen 88 m hohen Turm, der die riesige Tuchhalle krönt.
Auf dem Marktplatz angekommen, traue ich kaum meinen Augen. Die Touri-Hochburg Brügge knallt mit voller Wucht ungebremst auf mich ein. Fassungslos blicke ich auf den Platz. Menschen über Menschen, dazwischen Busse, Taxis, Pferdekutschen, Fahrradfahrer. Es wimmelt wie in einem Bienenstock, nur ungeordneter. Hinter mir hupt es, neben mir klingelt es, ich erwache aus meiner Erstarrung. Nur weg hier. Ich werfe einen Blick auf die Häuser rings um diesen Platz. Sie sind wunderwunderschön. Fluchtgedanken peinigen mich. Nichts wie weg.
Burg – majestätisch und mystisch
Fasziniert stehe ich dann auf dem wohl beeindruckendsten Platz Brügges, dem Burgplein. Ganz langsam drehe ich mich einmal um die eigene Achse und staune, lasse das prächtige historische Häuserensemble auf mich wirken. Dort die mystische Heilig-Blut-Basilika, das älteste Bauwerk Brügges. Daneben prunkt das gotische Rathaus mit spitzen Türmen und den Wappen sowie Statuen flandrischer Grafen. Direkt im Anschluss lenkt die Zivilkanzlei mit ihren filigranen Ausschmückungen die Aufmerksamkeit auf sich. Justitia thront auf dem Mittelgiebel mit ihrer Waage der Gerechtigkeit. Ihr zur Seite stehen Moses mit den göttlichen 10 Geboten und sein Bruder Aaron, welcher die Verbindung zum Volk herstellt.
Rasende Boote und keine Fische
Ein von einem Gewölbe überspannter Weg führt durch die Blinde-Ezelstraat zum Fischmarkt der reichen Bürger. Die Säulenhalle ist noch zu sehen, vom Fisch keine Spur. Ein Stückchen weiter am Huidenvettersplein fand der Fischverkauf für die Armen statt. Dort starten jetzt die Boote zur Stadtrundfahrt auf dem Wasser. Wer denkt, eine solche Tour wäre idyllisch und gemächlich, irrt. Vollgestopfte Boote rasen durch die Kanäle, begleitet von der Lautsprecheransage der Kapitäne. Sightseeing im Schnelldurchlauf.
Vom Rozenhoedkaai, dem meistfotografierten Ort in Brügge mit seinen Postkartenansichten verschwinden wir aus dem Gedränge.
Ein Platz im Himmelreich und das Elend auf Erden
Am nächsten Tag meiden wir die überlaufene Innenstadt so gut es geht. Von unserem Hotel wandeln wir am Kanal entlang bis zum Sint-Jakobsplein. Überall stehen die weiß gekalkten Stiftungshäuser. Die Gilden bauten sie für ihre alten Mitglieder und wohlhabende Bürger für Bedürftige. Damit ergatterten sie sich einen sicheren Platz im Himmel.
Wir erreichen t’Zand, einen riesengroßen Platz, der vom modernen Concertgebouw überragt wird. Über zahlreiche kleine Gassen kommen wir in die Mariastraat. Wer ein Souvenir mit nach Hause nehmen will, wird hier bestimmt fündig. Ein Shop reiht sich an den nächsten. Hinter der Liebfrauenkirchen gelangen wir in den Stadtgarten am Arentshuis. Ein ruhiges lauschiges Idyll, wäre da nicht mitten drin die Darstellung der Apokalypse mit Hungersnot, Pest, Revolution und Tod von Rik van Poot.
Durch ein Tor gelangen wir ins alte Krankenhaus Out Sint-Jan. Leider war die Apotheke aus dem 17. Jahrhundert mittags geschlossen, doch im Kräutergarten dufteten Minze, Lavendel, Thymian und andere Schätze um die Wette.
Der Beginenhof „Zum Weingarten“
Ich hatte von ihnen gehört. Ich hatte ein Buch gelesen über ihr Leben und Schaffen. Nun wollte ich eintauchen in die Welt dieser außergewöhnlichen Frauen, den Beginen. Ein wenig andächtig trete ich durch das Tor und stehe im stimmungsvollsten Ort von Brügge, den 1230 von Johanna von Konstantinopel gestifteten Begijnhof en Wijngaarten. Weiße Häuser und eine Kirche umrahmen einen von Bäumen bestandenen Innenhof. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein, die Stille ist fast greifbar. Eine ruhige Oase im hektischen Treiben der Stadt. Lange bleibe ich im Beginen-Museumshaus.
Alle Beginen sind gleich
Ende des 12. Jahrhunderts wurden die ersten Beginengemeinschaften, meist in der Nähe von Klöstern oder Krankenhäusern gegründet. Von Lüttich ausgehend breiteten sie sich über West- und Mitteleuropa aus. Hier fanden Frauen Zuflucht, die mangels Mitgift nicht heiraten konnten oder Witwen waren. Egal, ob bürgerlich oder von Adel, alle Beginen hatten gleiche Rechte und Pflichten. Geleitet wurden diese Wohngemeinschaften von der Grootjuffrouw, der Grande Dame oder Großen Frau.
Beginen – sehen aus wie Nonnen und sind doch keine Nonnen
Orientiert am klösterlichen Leben, hatten Gebet und innere Einkehr ihren festen Platz im Tagesablauf einer Begine. Ähnlich einer Nonne war ihre Kleidung, schwarzes Kleid und weiße Haube. Sie gaben jedoch kein Gelöbnis ab und konnten die Gemeinschaft jederzeit wieder verlassen. Beginen waren eigenständig und sorgten selbst für ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von geklöppelter Spitze oder Leinen. Daneben widmeten sie sich der Armenfürsorge und Krankenpflege.
Beginen – ihre Lebensform war verboten und doch nicht verboten
Dem Klerus waren diese selbstständigen aufmüpfigen Frauen ein Dorn im Auge. So wurden Beginen immer wieder der Scheinfrömmigkeit und Heuchelei verdächtigt mit Tendenz zur Ketzerei. Marguerite Porete, eine mutige Frau, fällt der Inquisition zum Opfer, weil sie in ihrem Buch „Spiegel der einfachen Seelen“ den Aufstieg der Seele zur Verbindung mit Gott schildert, frei von Sünde doch voller Liebe. Ein gefährliches Werk, noch dazu in französischer Sprache und somit Jedem, der lesen kann, zugänglich. Am Pfingstsonntag 1310 wird sie in Paris verbrannt.
Beginen wurden der Irrlehre verdächtigt und ihre Lebensweise von Papst Clemens in 1311 verboten. Das galt aber nicht für rechtgläubige Frauen, sofern sie ein frommes Leben unter der Obhut des Klerus führten. Immer wieder gerieten die Beginen zwischen die Fronten der Kirche. Selten wurden sie hingerichtet, doch mussten sie weichen und aus ihren Höfen ausziehen, wenn sie nicht die „Richtigen Unterstützer“ hatten. Sein Nachfolger Johannes XXII. hob das Verbot auf, nachdem er die Beginen einer Glaubensfestigkeitsprüfung unterzogen hatte.
Die Beginen haben die Zeit überdauert. Im Jahr 1930 starb die letzte Begine in Brügge. Seitdem wohnen Benediktinerinnen im „Fürstlichen Beginenhof Zum Weingarten“.
Beginen, noch heute fasziniert ihre Lebensweise
Sie waren von Kirche und Staat unabhängige Frauen aller Schichten, die selbstbestimmt zusammen lebten, wirtschafteten und ihre Einkünfte verwalteten. Mit ihrem freiheitlichen Denken und Handeln waren diese Frauen ihrer Zeit weit voraus. Wer sich den Beginen anschloss, stellte der Gemeinschaft oftmals sein Vermögen oder andere Besitztümer zur Verfügung. Zwingend war jedoch, dass jede Begine einer Arbeit nachging. Mit ihren Einkünften finanzierten sie sowohl Bau und Erhalt der Höfe als auch die Versorgung von Armen und Kranken.
Inspiriert vom Leben der Beginen und ihrer Tradition entstehen seit 1985 in verschiedenen deutschen Städten Beginenvereine, aus denen Wohnprojekte für generationsübergreifendes Zusammenleben und gemeinschaftliches Arbeiten hervorgehen.
Entsteht hier eine neue Form für selbstbestimmtes Wohnen? Jung und Alt leben gemeinsam und jeder trägt mit seinen Fähigkeiten zum Gemeinwohl aller Bewohner bei. Was denkst du dazu?
Lass uns zusammen LEBEN – LIEBEN – LACHEN
und verrückte Sachen machen
Deine
Elvira
Beginen heute, hier kannst du weiterlesen
Hier haben wir gewohnt und gespeist. Und zur Information, ich bekomme keine Provision für diese Empfehlung, es hat mir einfach nur bestens gefallen.
„Hotel Jacob“, ruhig gelegen mit 3-Sterne-Komfort und gutem Frühstück
„Au Petit Grand“, eine sehr herzliche Bedienung heißt uns willkommen und das exzellente Steak versetzt uns in den Gute-Laune-Modus.
„Cuvee“, hier kannst du Wein degustieren, nippen, zuprosten, die Kehle schmieren, schlürfen oder einfach nur trinken sowie kleine wohlschmeckende Leckereien verspeisen. Bacchus lässt grüßen.
„Lieven“ die Suche nach dem etwas versteckt liegenden Restaurant lohnt sich. Die Speisen sind durchweg ein Genuss und wir entschweben in den Feinschmeckerhimmel.
Ich habe davon schon gehört, aber auch, dass man schon einiges an Vermögen (Geld) haben muss, um dort wohnen zu dürfen. Stimmt das?
Übrigens, wir waren im Juli in Brügge. Es ist eine wunderschöne Stadt! Schau hier:https://farbenreich.wordpress.com/2015/07/07/sehenswerte-orte-in-belgien/ Da findest Du einige Aufnahmen drunter.
Herzliche Grüße
Sabina
Liebe Elvira,
danke für diesen schönen und informativen Bericht! Du kannst übrigen super erzählen, man sieht es förmlich vor sich!
Von den Beginen hatte ich bis dahin noch nichts gehört, womit ich jetzt eine Informationslücke schließen kann. Ich hatte nur schon einmal irgendwo gelesen, dass es im Mittelalter sehr wohl auch üblich war, dass Frauen selbstbestimmt lebten und ihr eigenes Vermögen verwalteten.
Diese Form des Zusammenlebens ist ja wirklich sehr aktuell. Phaszinierend, dass dieser gemeinschaftliche und nachhaltig orientierte Gedanke scheinbar in den Menschen drin steckt und immer wieder in einzelnen Gruppen umgesetzt werden möchte.
LG
Sybille
Liebe Sybille,
ich finde es genauso faszinierend, dass verstreut über Deutschland einzelne Wohnformen entstehen, die als Vorbild das Zusammenleben der Beginen haben. Bin mal gespannt, wohin und wie sich das entwickelt.
Herzliche Grüße
Elvira