Petra Schuseil hat mir ein Blogstöckchen zugeworfen und fragt: „Wie erkläre ich einem Außerirdischen, was wesentlich werden ist?“ Seit einer Woche starre ich wie hypnotisiert auf dieses Stöckchen. Da liegt es herum. Anklagend. Weil mir keine supergescheite Antwort auf solch eine wichtige Frage einfällt. Selbst Nacht- und Traumgeister bleiben stumm, wollen sich dazu nicht äußern. Inzwischen ist das Stöckchen zu einem ausgewachsenen Ast herangewachsen.
Wesentlich – ein anderes Wort für Mangel?
Vielleicht hilft mir Schreiben auf die Sprünge. Frei drauflos, was mir gerade durch den Kopf schwirrt. Also los!
Wesentlich hört sich nach Mangel an. Mag ich nicht. Im ersten Moment assoziiere ich: Alles reduzieren bis nur noch der Kern da ist, sich ausziehen bis auf’s Hemd, mit leeren Händen dastehen. Dann folgt: Kontrolle der Gedanken, sich an Richtlinien halten. Es fühlt sich bewegungslos und eingeengt an. Wesentlich, ein Wort, welches dazu auffordert Dinge und Sachen auszuräumen, sie loszulassen und wegzugeben. Es erinnert mich an Zeit, die vergangen ist, an den Weg, der hinter mir liegt. Es hört sich nach Langeweile, Alleinsein und Einsamkeit an, nach Endzeitstimmung oder dem Ende des Lebens. Kurz gesagt: Am wesentlichsten ist man wohl erst, wenn man zu seinem Ursprung zurückgekehrt, wenn man tot ist.
Schluss mit dieser grauen trüben Gedankenschleife. Draußen leuchten die roten und gelben Blätter an den Bäumen und strahlen mit dem blauen Himmel um die Wette. Welch eine Farbenpracht. Doch gleich schiebt sich wieder ein düsteres Bild davor: „Die fallen bald ab und die Äste ragen dann wie schwarze Skelette in die Wolken. „Ist das wesentlich, alles abwerfen?“ Und mein dicker Ast nickt.
Werden – ein Wort der Zukunft
Werden, endlich ein Wort, welches mir gefällt. Mit vorwärts leben lässt sich „wesentlich“ leichter ertragen. Ich bin Ende 50 und bereits ein Stück auf dem „Pfad des Werdens“ gewandelt. Es ist ein ständiges unterwegs sein. Es ist Bewegung. Bei dieser Wanderung habe ich einen reichen Erfahrungsschatz gesammelt. Mit diesem Wissen lässt es sich weiterhin gut voranschreiten, und ich kann Veränderungen gelassen entgegensehen. „Werden“ lässt mich träumen und wünschen, Luftschlösser bauen und sie auf den Boden der Tatsachen holen. Es ist ein Zukunftsversprechen und gleichzeitig pure Inspiration, welche meine Augen strahlen und Nerven vibrieren lässt. Wesentlich werden ist der Glaube daran, dass es noch viel Leben vor dem Tod gibt. Banale Schlussfolgerung? Mag sein.
Aus dem dicken Ast wird auf diese Weise wenigstens wieder ein Spazierstock, mit dem ich mich auf die spannende Reise zu mir selbst, meinem Mensch- und Dasein, meinen Wesenskern mache. Auch bei diesem Abschnitt des Weges ist ganz sicher, dass es unbekannte Abzweigungen und Kreuzungen gibt, die Entscheidung verlangen. Fruchtbare Landschaften wechseln sich mit kargen Dürrezonen ab, hohe Berge mit tiefen Tälern, Freude mit Trauer und Banales mit Existenziellem. Manche Hindernisse erzwingen einen Umweg, über andere kann man rüberklettern, auch wenn es Mühe erfordert.
Wesentlich werden – alles kommt auf den Prüfstand
Ganz klar ist, dass beim letzten Abschnitt eines Lebenswegs Ballast abgeworfen wird, denn es läuft sich besser mit einem leichten Rucksack auf dem Rücken.
Am unbeschwertesten ist es, sich von Dingen und Sachen zu trennen. Schwieriger wird es sich von Menschen, die so gar nicht mehr zu einem passen wollen, zu verabschieden. Alles bisherige kommt auf den Prüfstand, muss unter der Prämisse „Wer bin ich oder wer will ich sein“ neu gedacht, verändert oder justiert werden: Berufs- und Privatleben, Wohnung, soziales Umfeld, Gewohnheiten, Rituale, Traditionen, Glaubenssätze und damit verbunden Erinnerungen, Ängste, Zwänge, Prinzipien.
Lesetipp: Die Löffelliste der verrückten Lebensträume
Der Weg zum wesentlich werden ist schmal und beschwerlich, doch es lohnt sich ihn zu gehen. Du kannst nur gewinnen. Mit jedem Schritt fühlst du dich freier, gelöster, leichter. Stolperst du, sind Gräben oder sogar Schluchten zu überwinden, wo du alleine nicht weiterkommst, dann suche jemanden, der dir hilft, dir die Hand reicht. Eine freundliche wohlwollende Begleitung oder ein erfahrener Therapeut sind Gold wert. Das ist auch ein Abschnitt zum Wesentlich werden – um Hilfe bitten und sie annehmen.
Und was ist nun wesentlich werden?
14 Überlegungen dazu
Ehrlich gesagt: „So richtig weiß ich es immer noch nicht.“ Doch inzwischen ist aus dem Spazierstock wieder das Stöckchen geworden. Es liegt inzwischen auf der Kommode und fragt: „Wie erklärst du einem Außerirdischen, was wesentlich werden ist?“ Hm . . . ich denke, da gibt es keine allgemein gültige Antwort, da jeder Mensch einzigartig ist und anders tickt.
Halt, warte, liebes Stöckchen, nicht wieder zum dicken Ast werden. Vorschlag: Du bekommst bunte Bänder. Das sieht erst einmal sehr fröhlich aus, erinnert mich an meine Überlegungen und das Dranbleiben. Also, wesentlich werden ist vielleicht
- zurückschauen, sich erinnern und aussöhnen mit seiner Vergangenheit.
- Sich selbst nicht mehr so wichtig nehmen.
- Den Fokus auf das Sein anstatt das Haben richten.
- Schonung der zur Verfügung stehenden Ressourcen: eigene und den Planet Erde betreffend.
- Im Dschungel aus tausend Projekten, beruflichen oder familiären Verpflichtungen langsam aber sicher einen klaren Weg erkennen durch Delegieren oder Abgeben von Aufgaben.
- Lieben und tun, was das Herz begehrt.
- Orientierung hin zum Geben. Die erste Lebenshälfte besteht hauptsächlich aus Nehmen und Aufbauen. Was kann ich von meinem Wissen und Erfahrungsschatz der Gesellschaft zurückgeben.
- Lernen, um Veränderungen gelassen entgegenzublicken.
- Gedanken Raum geben, sich Zeit für sich selbst nehmen.
- Werte ausprobieren oder jedes Jahr unter ein neues Motto stellen.
- Träumen und Wünschen, damit die Phantasie satt wird, Lebendigkeit entsteht oder sogar etwas Neues Einzug halten kann.
- Mich dafür entscheiden, jeden Tag glücklich zu sein
- Mitmenschlichkeit und Gelassenheit pflegen, acht- und einfühlsam mit sich und dem Nächsten umgehen.
- Sich mit mir so wie ich bin anfreunden und intensiv leben.
Grundsätzlich wird „Wesentlich werden“ bei jeder Person anders ausfallen. Es orientiert sich an dessen Werten, seinen Prinzipien, seinem Wissen und ganz eigenen Erfahrungsschatz, seinem Wieso und Warum, seinen Eigenheiten und Erwartungen.
Und nun schmeiße ich dir das Stöckchen vor die Füße. „Was ist für dich wesentlich werden?“ Schreib doch einen Kommentar dazu, das was dir als erster Gedanke bei dieser Frage durch den Kopf blitzt ohne jegliche Wertung ob richtig oder falsch. Vielen Dank.
Lesetipp: Gedanken von Petra Schuseil und anderen
wesentlich, was wäre wenn . . .
Wie erkläre ich einem Außerirdischen wesentlich werden?
Lass uns zusammen LEBEN – LIEBEN – LACHEN
wesentlich werden und jeden Tag bunte Sachen machen
Deine Elvira
Liebe Elvira, bin ich froh, dass aus dem Ast wieder ein Stöckchen wurde. Uff. 🙂
Großartig sind deine Gedanken und auch die von Deinen kommentierenden Mitschreiber*innen. Der Außerirdische hat gut zu tun um sich ein Bild zu machen. Hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach geht, gell?
Ich habe heute in Zypern nach 2 handgeschriebenen Seiten folgende Sätze „fabriziert“ und nicht schlecht gestaunt : Es braucht Zeit die Löffelliste zu schreiben, das Buch fertig zu formulieren und in die Tiefe zu kommen. Erst über Umwege und das Ausprobieren gelingt das Wesentliche. Das Wesentliche ist also erst gegen Ende gelungen. So wie jetzt diese Sätze aus der Feder fließen.
In diesem Sinne, machen wir weiter!
Danke!!
Herzlich. Petra
Liebe Petra,
der Faktor Zeit in allen seinen Varianten entscheidet über das Gelingen. Das hast du sehr treffend beschrieben. Ich wünsche dir noch eine wunderbare Zeit in Zypern, um mehr solche tiefgehenden Sätze zu „fabrizieren“.
Ganz liebe Grüße
Elvira
Hallo,
ein sehr interessanter Beitrag, der mich bei einigem doch sehr zum Nachdenken bringt. Ich versuch mein Leben zu leben – nach anderen richtige ich mich eher weniger, soweit wie möglich.
Beste Grüße
Martina – http://www.lady50plus.de
Soweit wie möglich – darin enthalten ist eben, dass es ein Zusammenleben mit Menschen gibt und deshalb eben auch Verantwortung, Rücksicht, Respekt, aufeinander eingehen und mehr.
Liebe Grüße
Elvira
Hallo Elvira,
ich kann mich den anderen Kommentaren nur anschließen – vor allem Barbara. Ja, wesentlich werden bedeutet für mich, mich auf die wichtigen Dinge in meinem verbleibenden Leben zu konzentrieren. Mir nicht mehr so viele Gedanken zu machen über Dinge die nicht wichtig sind und die ich vor allem auch nicht ändern kann. Diese Zeitverschwendung wegzulassen ist für mich wesentlich werden. Immer probieren positiv an alles ranzugehen – auch wenn es mal nicht so läuft. Immer versuchen wesentlich zu werden d.h. das Leben zu geniessen – mit all seinen Höhen und Tiefen.
Ich versuche schon seit längerem mich nicht mehr so „verrückt“ zu machen. Es klappt schon besser, aber ich bin noch nicht am Ziel. Denn das Wichtigste ist doch zu leben – vor allem für sich selbst (das Wesentliche) – und nicht immer nur für andere sich zu verbiegen.
Ganz liebe Grüße
Heike
Liebe Heike,
Danke, dass du deine Vorstellungen mit uns teilst. Dann wünsche ich dir, dass du so weit ver-rückt wirst, um das Leben aus einer anderen Position wahrzunehmen und verrückt genug, um für dich wichtige Änderungen vorzunehmen.
Viele herzliche Grüße
Elvira
Vielen Dank für das Teilen Deiner Gedanken. Vieles spricht auch aus meiner Seele. Wesentlich ist für mich das Fühlen von Dankbarkeit . Freude über Gesten,Worte, und sei es das leichte Schnarchen meines Mannes….Menschen,die ihre Lebenszeit mit mir teilen wollen. Freude teilen, die Natur staunend neu erfahren,……und wissen,ich hab alles mit Liebe versucht. Auch wenn nicht alles geklappt hat.
Versöhnlich sein und Stolz ablegen,liebevolle Abschiedsworte finden und bereit sein….
Liebe Barbara,
das hast du wundervoll ausgedrückt . . . alles mit Liebe versuchen und bereit sein. Danke für diese Ergänzung
ganz herzliche Grüße
Elvira
Ich habs: wesentlich kommt von „Wesen“- also das „Lebewesen – auch der Mensch!
Also Fazit: D a s M e n s c h l i c h e und seine Vernunft ist das „Wesentliche“ und so sollte man werden.
So einfach ist das !
Manchmal ist es ganz einfach, liebe Christian, vielleicht weil du mir ein paar Jährchen voraus schreitest und bereits weiter mit deinem Wissen bist.
Liebe Grüße
Elvira