10 Tage Wüstenwandern in der Sahara

Etwas Kaltes berührt mein Gesicht. Geister. Geister in der Sahara ist mein erster Gedanke. Mein Herz bleibt fast stehen: „Was hat mich eben angefasst?“ Erstarrt liege ich in meiner Schlafkuhle auf der Düne. Vorsichtig öffne ich ein Auge. Entwarnung. Es ist nur der Nachtwind, der über mich hinweg streicht.

Ich döse ein. Dann ein nerviges Sirren und Summen. Ich verkrieche mich bis zu den Haarspitzen in meinen Schlafsack. Später ist mir kalt. Ich ziehe alles an, was ich an warmen Sachen dabei habe. Immer noch kalt. Kurzer Schlaf. Da, da ist wieder was. Doch nur der Regenbogenmond scheint auf mich herab und die Sterne funkeln am nachtdunklen Firmament. Hin und wieder fällt eine Sternschnuppe vom Himmel. Ich fühle mich ganz klein in dieser Unendlichkeit. Kurzer Schlaf. Bibbernd vor Kälte wache ich auf. Der Mond ist untergegangen, hat alle Sterne auf seiner Laufbahn mit sich genommen und eine tiefschwarze Bahn in den Himmel gezogen. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.

Wüste Dünen

Wann zündet unser Teemeister endlich das Feuer an? Der Morgenstern zieht im Osten herauf. Immer noch keine Bewegung im Lager. Dann endlich eine züngelnde Flamme. Auch die längste Nacht hat ein Ende. Ich springe auf, sofern das meine eingefrorenen Glieder zulassen und verschwinde im Freiluftbad. Zähneputzen mit 3 Schluck Wasser, mit einem Feuchttuch über Gesicht und Arme gewischt, mit den Händen durch die Haare gestrubbelt. Umziehen entfällt, nur die Fleecehose tausche ich gegen Pluderhose. Praktisch.

Der Ruf „Atai“ (Tee) weht über die Dünen. Ich eile zum wärmenden Feuer. Mit dem 1. heißen Tee in der Hand schaue ich der Venus mit ihren Begleitern Jupiter und Mars zu. Als Besonderheit werden sie uns die nächsten Tagen ihren Planetentanz vorführen, wobei sie ihre Positionen wechseln. Ich räume meine Schlafsachen von der Düne und packe meinen Rucksack. Fertig. Der 2. Tee. Nun habe ich nichts mehr zu tun, außer dem Sonnenaufgang in zarten Blau-, Rosé- und Goldtönen zuzusehen. Der 3. Tee und das Frühstück werden serviert. Während die Männer alles einpacken und die Dromedare beladen, haben wir drei Frauen Zeit für Meditation und leichte Gymnastik. Die Nomaden verrichten noch ihr Gebet und dann erschallt ein lautes Jallah.

Wüste große Ebene

Drei Tage sind wir inzwischen unterwegs. Zuerst zogen wir durch ein Meer aus Geröll, dem eine weite Ebene folgte. Wie orientiert man sich hier? Wahrscheinlich nach dem Sonnenstand oder den Sternenbildern. Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt tauchte ein Brunnen in dieser trockenen Einöde auf. Die Dromedare wurden getränkt und die Wasserkanister gefüllt.

Wüste Lac Iriki

Gestern liefen wir stundenlang durch die Zu- und Abflüsse des ausgetrockneten Lac Iriki. Grauweiß schillerte der Sand und erweckte die Illusion von Wasser. Zum Glück war der Himmel bedeckt und wir blieben von der prallen Sonne verschont. Eine Weile war das Flussbett unsere Wegmarkierung. Dann ging es hinein in die Sanddünen. Das ständige Auf-und Ab zehrte an den Kräften. Im Zickzacklauf ging es durch die Sandberge, denn der einfachste Weg ist nie der Kürzeste. Mit jedem Schritt leerte sich mein Kopf, irgendwann hatte ich das Denken eingestellt. Nur noch Gehen, die Nomaden nie aus den Augen verlieren, denn der feste Sand schluckte ihre Spuren und die Dünen verbargen ihr Dasein.

Wüste Marokko

Jallah, los geht’s, ertönt es noch einmal. Die Karawane setzt sich in Bewegung. Geröll und Sand schieben sich unter meine Füße, vertrocknetes Gestrüpp stellt sich in den Weg, zerkratzt die Knöchel, wenn wir nicht aufpassen. Gehen in der Wüste. Dünen türmen sich vor uns auf, scheinen unüberwindlich, öffnen sich erst beim Näherkommen. Immer weiter gehen wir hinein in die Sandberge.

Und plötzlich ist sie da. Eine gigantische majestätische Düne erhebt sich vor uns in ihrer ganzen Schönheit: Erg Sahar. Fußspuren zieren sie, auf die Minah hinweist. Unsere Nomaden denken, sie möchte auf die Düne steigen und sofort bietet ihr Einer seine Begleitung an. Minahs Einwand, dass sie gar nicht da hoch will, verblasst angesichts seiner Begeisterung und Freude. Oh Schreck, nun wenden sich alle an mich. Ich soll ebenfalls mit. Doch ich habe meine Leistungsgrenze fast erreicht und lehne dankend ab. Ich brauche meine Kräfte, um den Rastplatz zu erreichen. Die Wüstenfrau und der Tuareg ziehen also zu zweit los.

Wüste Erg Sahar

Wüste Erg Aufstieg

Wüste Erg Sahar Gratwanderung

Ich will den Aufstieg fotografieren. Wir halten an und zwei Kamele werden zwischen mich und die Sonne gestellt, damit ich in deren Schatten stehe. Unsere Begleiter sind sehr sehr fürsorglich und beobachten uns aufmerksam. Mein Kopf ist noch der Sonne ausgesetzt, also vermittelt man mir durch Gesten mich hinzuhocken. Ich fotografiere den Aufstieg auf den Dünenkamm. Minah und der Nomade sehen winzig klein aus. Dann passiert es. Das Dromedar pinkelt. Oh nee, jetzt rieche ich auch noch nach Dromedarpipi. Meine Dreck- und Geruchsschicht verstärkt sich, bilde ich mir jedenfalls ein, doch hier stört sich niemand daran.

Wüste Erg Sahar

Die beiden Gipfelstürmer kommen wieder bei uns an und werden mit lautem Hallo begrüßt. Minah ist fix und fertig nach dieser Extratour. Nach einer kurzen Verschnaufpause gehen wir weiter. Aisha, unsere Wüstenprinzessin reitet auf ihrem Kamel. Minah und ich können das Tempo nicht halten, fallen immer weiter zurück. Endlos reiht sich eine Düne an die Nächste. Ich kann nicht mehr, Minah schon lange nicht mehr. Die Sonne brennt uns das Gehirn weg. Der Schweiß trocknet sofort auf der Haut, lediglich ein Salzfilm zeugt von gewesener Feuchtigkeit. Wir schleppen uns durch eine Ebene, durch kleine Büsche, unter denen Wüstenrucola wächst. Endlich – einer der Nomaden beginnt Holz zu sammeln. Wir rasten unter einer großen Tamariske.

Zwei Tage ist nun Pause. Unser Lager befindet sich inmitten der Dünen. Ich will diese Zeit zum Fotografieren und Schreiben nutzen. Ich frage die Nomaden, ob ich sie bei der Arbeit im Bild festhalten darf. Breites Grinsen, fröhliches Nicken und „tout le jour“ ist die Antwort. Jeder der Nomaden hat seinen Bereich: der Teemeister, der Koch, der Kamelhirte und der Bäcker, der gleichzeitig der Karawanenführer ist. Jeder erfüllt seine Aufgaben voller Konzentration und Ruhe. Wir würden es mit dem Modewort „Achtsamkeit“ beschreiben. Niemand hat es eilig. Jetzt ist Jetzt und Morgen ist Morgen.

Wüste Mittag

Nachmittags wollen wir drei Frauen zu einer Dünenwanderung aufbrechen. Natürlich begleitet uns einer der Nomaden, sorgt für unser Wohlergehen. Auf dem Weg erklärt er uns die doppelte Bedeutung des Begriffs ERG – es heißt sowohl Düne als auch Wurzel. Nachdenkenswert.
Oben auf der höchsten Düne rückt er beiseite, damit wir mit unserem Gefühlen und Empfindungen allein sein können. Die Nomaden besitzen feine Antennen für die Stimmungen der ihnen anvertrauten Menschen.

Wüste Sahara

Still sitze ich auf dem Dünenkamm, lasse die Beine baumeln. Die Sonne malt beeindruckende Strukturen in dieses endlose Meer aus Sand. Schön sieht sie aus, die Wüste, so still und ruhig. Ich spüre ihre Kraft und sie weiß um ihre Stärke. Unter ihrem prächtigen ockerfarbenen Mantel ist sie unwirtlich, lebensfeindlich, erbarmungslos. Sind es diese Gegensätze, die sie so anziehend machen, so faszinierend.

Wüste trocken

Später stehe ich auf der Düne beim Chi gong. Wind kommt auf, bläst mich fast weg. Sand fliegt. Die Wüste wird zum wogenden Meer. Ihre Dünen überwinden Grenzen mit der Kraft des Windes, Geduld und Zeit. Sie lassen sich nicht einengen. Niemand kann sie aufhalten. Alles verändert sich, nichts bleibt wie es ist. Ich stehe im Sand auf der Düne und langsam verändere ich mich auch. Verkrustungen lösen sich, Glaubenssätze verschwinden, das Höher, Weiter, Schneller, immer Mehr wird Nebensache.

Keiner kehrt so aus der Wüste zurück
wie er hinein gegangen ist.

(Sprichwort der Nomaden)

Alle Arbeit ist getan. Wir sitzen am Lagerfeuer und schauen in die Flammen. Der Zauber der Wüste, ihre Magie legt sich wie ein Schleier über uns. Und Aisha, mit ihrer wunderbaren weichen warmen Stimme singt. Die Melodie klingt in die Nacht, Ruhe breitet sich aus. Geborgen und voller Vertrauen schlafe ich tief und fest in den nächsten Morgen hinein.

Wüste Sterben

Es ist der vorletzte Tag in der Wüste und der Morgenimpuls ist: ZEIT. Wir ziehen nach Norden, überqueren den ausgetrockneten Draa. Verfallene Lehmhäuser, einen kaputter Brunnen, zerborstene Sandplatten, verdorrte Bäume, die ihre Äste klagend in den Himmel strecken und die Knochenreste eines Dromedars zeugen vom Ende seiner Zeit.

Wüste Kamelherde

Wind kommt wieder auf, treibt den Sand vor sich her. Vermummt bis auf die Augen stemmen wir uns ihm entgegen. Wie aus einer anderen Welt taucht plötzlich eine Kamelherde aus dem Dunst auf.

Wüste Kamelbaby

Ein Stück weiter erleben wir die Zeit als Anfang des Lebens: ein Dromedarbaby hat gerade das Licht dieser Welt erblickt. Seine Mutter ermuntert es durch Anstupsen zum Aufstehen. Mir ist feierlich zumute, denn die Wüste hat im Zeitraffer Leben und Sterben, Anfang und Ende an einem Tag gezeigt.

In den 8 Tagen Unterwegssein spiegelt die Wüste und das Wetter perfekt meine Stimmungen wieder. Zu Beginn durchschreiten wir eintönige Ebenen. Der Himmel ist bedeckt. Ich bin in mich gekehrt. Es folgt Erg Sahar, die große Düne, von der aus man alles überblickt. Ich bleibe unten, will nicht alles sehen, fühle mich dem Blick auf das Ganze nicht gewachsen. In den abweisenden Dünenzügen öffnen sich im Näherkommen Wege. Die fließenden Bewegungen der Dünen brechen meine Verkrustungen auf und der Wind bläst die Reste fort. Der Sand schmirgelt die Dreckschicht ab. Meine blank geputzten Innenräume glänzen wie neu und sind bereit, sich mit Neuem zu füllen. Doch ich bin auf der Hut, dass sie nicht wieder mit unnützem Kram und Gerümpel vollgestellt werden. Mein Licht kann wieder scheinen und strahlen.

Wüste Brot backen

Der letzte Abend. Ein Abend voller Glück. Die Nomaden veranstalten ein Konzert für uns. Einer ergreift die Blechhaube des Wüstenbackofens und trommelt darauf, der Nächste singt und Zwei klatschen dazu. Aus ihren Augen sprüht die pure Lebensfreude. Wir stimmen begeistert in ihren Takt mit ein.
Und die Wüste zündet den Himmel an zum großen Finale. Mit diesem letzten glamourösen Auftritt verabschiedet sie sich von uns. Sie und die Nomaden haben uns alles geschenkt, was sie geben konnten und wir sind zutiefst dankbar für diese Gaben.

Wüste Sonnenuntergang

„Regenbogen“, schreie ich.
„Ros s’häb“, schreit einer der Nomaden. Verzaubert drehe ich mich im Kreis, ein tiefes jubelndes Glücksgefühl durchströmt mich.

„Brot“, ist sein nächster Schrei und wir laufen alle zu ihm hin. Das köstlichste Brot der Welt hat er gerade aus dem Nomadenbackofen geholt, bricht Stücke davon ab und reicht sie weiter. Und jetzt stehen wir alle hier, in der Hand ein Stück warmes knuspriges Brot mitten zwischen diesen Wundern der Natur: einer rotgold glühenden Sonne im Westen und dem Regenbogen im Osten. Und mit einem weiten Herzen und etwas Wehmut verabschiede ich mich von der Wüste.

Eine ganz großes Danke schön geht an Minah, die Wüstenfrau, die solche Reisen zwei Mal im Jahr organisiert. Klick hier und erfahre mehr.

Lass uns zusammen Leben – Lieben – Lachen
und jeden Tag zu etwas Besonderem machen

Deine
Elvira

Klick hier zum 1. Teil dieser Reise „In die Wüste gehen“
Hier kommst du zu Teil 3 „Am Rande der Wüste von Marokko“

3 Kommentare, sei der nächste!

    1. Ja, das war es. Wenn dich nichts mehr von deinen Gedanken und Gefühlen ablenkt, ist das sehr eindrücklich und tiefgreifend. Ich bin sehr froh, dass ich mich getraut habe.

      Ganz liebe Grüße
      Elvira

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