Schneckenhaus

Langsamkeit heißt mein Jahresmotto

Das macht mich sehr nachdenklich, denn eigentlich gönne ich mir Zeiten der Muße, liebe meine stillen ruhigen Stunden unterwegs im Wald, mit einem Buch vor der Nase oder beim Wühlen in der Erde. Und nun Langsamkeit? Wie passt denn das? Was will mir meine Intuition denn damit sagen, als sie mein mit-geschlossenen-Augen-im-Engelbuch-blättern genau an dieser Stelle gestoppt hat?

„Die Entdeckung der Langsamkeit“

heißt der Bestseller von Sven Nadolny. Dort geht es um den englischen Kapitän und Polarforscher John Franklin. Sein Hauptwesenszug ist die Langsamkeit, sowohl was Auffassungsgabe als auch seine Beweglichkeit betrifft. Er scheint nicht für schnell, schnell geboren zu sein. Schon als Kind wird er aus diesem Grund als Außenseiter abgestempelt, darf nur zuschauen, wenn andere spielen. Ausgestattet mit einem unbändigen Willen kompensiert Franklin seinen vermeintlichen Fehler und zeichnet sich durch besondere Gründlichkeit, Zielstrebigkeit und Genauigkeit aus.

Das Buch kommt auf meine Wunschliste und mal sehen, was im Laufe des Jahres noch dazu kommt, um dem Wesen der Langsamkeit und was es mit mir zu tun hat, auf der Spur zu kommen.

Langsamkeit ist gut bei der Erledigung von Aufgaben

Immer wieder entsteht Hektik in meinem Kopf, weil ich bei der Erledigung von Aufgaben bemerke, dass mir in jungen Jahren alles flotter von der Hand ging. Selbstständigkeit, Familie, Ehefrau, Kindererziehung, möglichst alles unter einen Hut kriegen, am besten gleichzeitig und auf höchstem Niveau – kein Problem. Noch ein paar unvorhergesehene Extras obendrauf, passt schon. Kannst du schnell dieses oder jenes dazwischenschieben? Aber klar doch. Selbstverständlich. Funktionieren war das oberste Prinzip. Alles nach Plan abarbeiten die Maxime. Die Vorstellung, dass eines der Kinder krank wird, eine Katastrophe, denn dann brach der sorgfältig ausgetüftelte Ablauf zusammen.

Klar ist, im Alter geht nicht mehr alles so zügig wie früher von der Hand. Das ist nicht nur ein Gefühl sondern eine Tatsache, die mir von vielen Frauen (und Männern) bestätigt wird. Husch, husch war gestern. Inzwischen durften wir lernen: In der Ruhe liegt die Kraft. Es ist ein Genuss und eine Freude, sich genau die Zeit zu gönnen, die es braucht, um Dinge nacheinander zu erledigen, sie gut zu erledigen und nicht nur als Beta-Version. Und es ist eine Freude, wenn sich am Schluss herausstellt, dass es noch nicht einmal mehr Zeit gekostet hat, denn unser im Laufe des Lebens erworbenes Wissen und unsere Fähigkeiten kompensieren die Langsamkeit des Alters. Das haben Studien bewiesen.

Langsamkeit ist bestens bei Entscheidungen

Traf ich früher Entscheidungen oft zwischen Tür und Angel, widerstehe ich inzwischen fast immer diesem Drang. Nichts auf die lange Bank schieben, jetzt, gleich, sofort vorpreschen und ohne Nachdenken handeln, war die Vorgehensweise, wenn auch nicht immer zum Besten. Scheitern gehörte genauso dazu wie das neu oder von vorne anfangen.

Nun ist es so, dass mit steigendem Alter die Zeit kostbar wird, sehr kostbar, da mein Leben hier auf Erden ja begrenzt ist. Also sollten die meisten meiner Entscheidungen besser gleich funktionieren, da ich es mir nicht leisten kann, noch x-mal von vorne anzufangen nach dem Try-and-error-Prinzip. Mir die Zeit nehmen, die ich brauche. Mich nicht mehr drängen lassen. Selbst wenn mein Rumpelstilzchen wie verrückt herumbrüllt: „Los, los, entscheide dich!“, möchte ich gern diese eine berühmte Nacht darüber schlafen. Das wird ja wohl erlaubt sein!

Langsamkeit ist Freude und Genuss
Darf ich das – aus dem Schnellzug des Lebens einfach so aussteigen und langsamer leben?

Langsamkeit ist hervorragend bei Stress und Überlastung

Das Leben dreht sich immer schneller und schneller. Egal wo, ob privat, beruflich oder in deiner Freizeit, schwupp, rauscht es an dir vorbei. Vieles übersiehst du, wenn nur Hetze und Hektik deinen Tag regiert. Zurück bleibt Unzufriedenheit. Klar ist es superklasse, ein Gefühl von Wichtigkeit, von gebraucht sein, von ohne-mich-geht-es-nicht zu spüren und daraus seine Energie und Bedeutung zu ziehen. Sich mehr und mehr aufzuhalsen bis man schließlich in eine Depression versinkt oder ein Burn out die rasende Fahrt stoppt. Nicht umsonst haben Achtsamkeitstrainings, Meditationsangebote, Tage der Stille und inneren Einkehr Hochkonjunktur, um das Leben zu verlangsamen bevor es zur Katastrophe kommt.

Sinnvoll wäre natürlich, sein Leben bereits beim ersten Eindruck von Überlastung abzubremsen. Dazu stehen, dass man nicht nur im Laufschritt vorankommt, sondern auch Gehen oder ein leichter Trab mit Verschnaufen und Ruhepausen zum Ziel führt. Sich bewusst auf seinen eigenen Rhythmus einlassen, sich Abkehren vom Geschwindigkeitswahn und Erfolgszwang, dem Ruf nach noch mehr Effizienz, der ständigen Erreichbarkeit. Langsamkeit unterbricht die Spirale von schneller, höher, weiter und führt hin zu mehr Lebensgenuss.

Der Langsamkeit auf der Spur

Als ich meine Augen wieder aufschlug, fielen mir gleich eine Menge Assoziationen zur Langsamkeit ein: langweilig, bummeln, das dauert ewig, nicht zu Potte kommen, steckenbleiben, Schneckentempo, herumtrödeln, Zeitlupe, zum einschlafen öde, träge. Alles keine erstrebenswerten Eigenschaften oder Bezeichnungen. Wie genervt reagiere ich, wenn vor mir ein Autofahrer dahinschleicht. Unschöne Titulierungen winden sich dann durch mein Hirn.

Mein jüngstes Enkelkind lehrt mich gerade, Zeit zu haben, denn kleine Kinder funktionieren nicht nach unseren hektischen Lebensplan. Sie sind Experten für Langsamkeit, können sich stundenlang in eine Sache vertiefen, fokussiert auf die einzige Sache, die einzige Frage, die ihnen jetzt gerade wichtig ist, sehr zum Missgefallen der Erwachsenen. Vielleicht sind sie gerade deswegen in der Lage, fröhlich ein immenses Lernprogramm zu absolvieren und mit nicht nachlassender Energie einen vollgepackten Tag zu bewältigen, weil sie mit der Zeit nichts anfangen können, langsam oder schnell keine Bedeutung für sie hat.

Verwegen, paradox und ziemlich unpassend

Eigentlich ist es ziemlich verwegen, in einer Welt der Beschleunigung, der Datenfülle und Informationsflut über Langsamkeit nachzudenken. Darf man das eigentlich nur in meinem Alter, also so ab 50+, einfach aussteigen aus dem Schnellzug, den Bummelzug nehmen oder sogar ein Stück des Weges zu Fuß gehen?

Und wie paradox ist es, das Jahresmotto Langsamkeit anzunehmen, und womöglich die beschränkte Lebenszeit zu vertrödeln statt sie randvoll mit Terminen zu packen. Gerade habe ich meine neue Löffelliste geschrieben, vollgepackt mit 101 Sehnsüchten. Da sollte ich mich sputen, um noch einen Großteil zu verwirklichen bevor ich zu alt und klapprig dazu bin.

Und wie passt Langsamkeit zu meinem Lieblingswort? Eigentlich überhaupt nicht. Da stehen sich zwei Eigenschaften gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch Langsamkeit passt ideal zu meinem neu gefundenen Wort, zartschmelzend wie Schokolade, welches eine Tätigkeit beschreibt, die voller Leichtigkeit ist – flanieren. Schwebender Glückszustand.

Immer öfter wispert eine innere Stimme mir zu: „Mach langsam, übertreibe nicht, achte auf dich.“ Wie schwer ist es, einen Gang zurückzuschalten, denn liebend gern flitze ich durch den Tag und je mehr los ist, desto mehr blühe ich auf und spüre, wie das Leben pulsierend durch meine Adern rinnt. Darauf verzichten?

Leben wie eine Schnecke?

Und was stelle ich nun mit meinem Jahresmotto an? So richtig weiß ich es noch nicht, doch es ist ja auch erst 4 Tage alt. Möglich, dass ich im Lauf des Jahres eine Langsamkeit für mich entdecke, die jetzt noch verborgen im Nebel liegt. Vielleicht beim Gärtnern, vielleicht beim Spiel mit meinen Enkeln, vielleicht beim Durchstreifen des Waldes, vielleicht als Mitglied bei Slow Food, vielleicht beim Pilgern durch Frankreich. Wer weiß.

Mit welchem Tempo gehst du durch’s Leben und wie fühlst du dich dabei? Schreib mir was in den Kommentar unten. Ich freue mich.

Lass uns zusammen LEBEN – LIEBEN – LACHEN
und bunte Sachen machen

Deine Elvira

11 Kommentare, sei der nächste!

  1. Sehr schön,
    Ich bin gerade mal 33 Jahre alt und schon immer viel langsamer als so alle anderen Menschen.. Ich nehme vieles „zu genau“ und schaue gerne genauer hin, auf Details..
    Ich war vor 10 Jahren mal sehr krank, weil ich versucht habe gegen meinen Rhythmus zu leben, ich habe dann nichts mehr gesehen… Seitdem lebe ich bewusst, höre auf meinen Körper und nehme viele Pausen… Lebe in meinem Tempo.
    In meinen Berufen musste ich oft effektiv sein aber eigentlich mag ich Eile nicht.
    Wer hat den Begriff Langsamkeit definiert?
    Jeder hat seinen eigenen Rhythmus und nach diesem sollte er auch leben.

    Liebe Grüße

  2. Liebe Elvira, hast du das Buch von Nadolny inzwischen gelesen? Es sozusagen mein Lieblingsbuch, sofern man eines haben kann als Vielleserin. Jedoch hat es mich immer ein wenig gemahnt und bewogen, etwas langsamer zu wandeln 😉
    Herzliche Grüße
    Geertje

    1. Liebe Geertje,

      erwischt, es liegt immer noch auf dem „ungelesenen“ Stapel. Noch habe ich 9 Monate Zeit bevor das Jahr der Langsamkeit für mich zu Ende ist. Danke dir vielmals für die Erinnerung. Durch meinen Umzug ist es etwas nach unten verrutscht, nun kommt es wieder ganz nach oben.

      Liebe Grüße
      Elvira

  3. Liebe Elvira,
    ein Jahresmotto, das finde ich auch sehr schön und spannend. Man weiß ja nicht, was einem dieses Motto über das Jahr bringen wird. Wie geht man damit um, was entwickelt sich daraus. Ich habe vor fast 2 Jahren mein Lebensmotto entdeckt. „ICH BIN ICH“ Diese 3 Worte kamen wie ein Knall in mein Leben. In meinem Fernstudium sollte ich ein Gedicht schreiben. So etwas hatte ich bis dato noch nie gemacht. Nachdem ich 3 Tage herumgedoktert und endlich alles fertig hatte, stellte ich fest, dass es komplett an der Aufgabenstellung vorbei ging. Ich wollte die Arbeit aber nun auch endlich einsenden. So habe ich mich also noch einmal hingesetzt. Dann auf einmal flossen die Gedanken nur so und…ja, das war es. „ICH BIN ICH“ Ich habe in der Zwischenzeit einige Gedichte geschrieben, aber keines blieb so in mir haften. Und genau danach lebe ich jetzt.
    Ich wünsche dir und deinem Motto ein gutes miteinander im kommenden Jahr.
    Liebe Grüße
    Gudrun

    1. Welch schönes Lebensmotto und so groß geschrieben. Es wird dich unendlich beschäftigen und du darfst ständig daran arbeiten. Wundervoll, dass du jetzt damit lebst.

      Danke für deine Wünsche

      Liebe Grüße
      Elvira

  4. Hi, wo warst du denn im Fernsehen?

    Langsamkeit übe ich auch … gerne … immer mehr … immer öfter 🙂

    Die Seelsorge geht auch im Krankenhaus sehr langsam (zumal im Vergleich mit all denen, die über die Flure rasen!) – denn sie hat Zeit! Und so kann ich das gut auch immer wieder zwischen den Kontakten/Besuchen mir vergegenwärtigen.

    LG, Hiltrud

    1. Liebe Hiltrud,
      nicht ich war im Fernsehen, sondern Birgit von „silbergraumetallic“.

      Pflege im Sekundentakt, mir tun beide leid, Patienten wie Pflegepersonal. Wie gut, dass es Menschen gibt, die Zeit haben, für die Seelen zu sorgen.

      Herzlichen Gruß
      Elvira

  5. Liebe Elvira ? sitze gerade im Zug und habe mehr als 5 Stunden Zugfahrt vor mir. Deinen neuen Blogartikel über Dein Jahresmotto 2018 habe ich mit Genuss und einigem Kopfnicken gelesen. Ich genieße es, im ICE zu sitzen und mich durch die Landschaft chauffieren zu lassen. Auch eine Art der gelebten Langsamkeit und eine sanfte Alternative zur oft stressigen Autobahn ..

    Interessant finde ich, dass es da noch jemanden gibt, der mit einem intuitiv gefundenen Jahresmotto lebt. Ich tue es auch seit Jahren und ich schreibe mein Motto jeweils auf die erste Seite meines Jahreskalenders, der mich jeden Tag meines Lebens in meiner Handtasche begleitet.

    Mein Motto für 2017 war ‚Empfange‘. Ich habe mich im vergangenen Jahr zurückgehalten mit Aktion, ich habe mich geübt im Warten, im mich überraschen lassen und das Leben hat mir unglaublich viele schöne, aber auch schwerere Dinge ‚an den Strand gespült‘. Ich habe erfahren, dass das Motto auf einer unbewussten, unsichtbaren Ebene ‚wirkt‘. Deshalb, ich bin überzeugt, dass Deine ‚Langsamkeit‘ Dir im nächsten Jahr viele schöne Momente bescheren wird. Ich werde mich auch in dieser schönen Gangart üben, Danke für die vielen guten Impulse.

    Mein Motto für 2018 habe ich noch nicht gefunden. Vielleicht schlage ich auch mal bei Anselm Grün nach ..
    Lieben, gemächlichen Gruß .. Birgit ✨??

    1. Hallo, liebe Birgit,

      Empfange und dann warten, was da so kommt. Und klar, man mag nicht alles, was da so als Treibgut auf dem Strand landet. Danke dir für den Tipp, das Motto auf den Jahreskalender zu schreiben. Wie einfach und doch ist es mir bisher nicht eingefallen.

      Nun wünsche ich dir noch eine gute Fahrt und komm ausgeruht und entspannt am Ziel an.

      Ganz lieben Gruß, und ich schicke noch ein wenig Neugier hinterher, was deine Intuition auswählt
      Elvira

      PS: Übrigens war dein Fernsehauftritt erstklassig. Gratuliere dir.

  6. Hallo Elvira,

    Schönes Motto

    Mein Motto für 2018 wird sein: Alles kann – nichts muß.

    Der 50. Geburtstag und der Auszug von Kind 1 die zunehmende Selbständigkeit von Kindern 2 haben mich doch mehr durchgeschüttelt als gedacht. Zeit bekommt eine andere Bedeutung.

    Das Ziel ist auch bei mir die Entschleunigung des Lebens und mehr AchtsamkeIT für den Moment.

    Liebe Grüße Cathrin

    1. Liebe Cathrin,

      da hast du ein Motto, dass alles verspricht, jedoch dir genügend Freiraum lässt, zu wählen.

      Gefällt mir sehr.

      Einen ganz herzlichen Gruß sendet dir
      Elvira

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